Montag, 11. August 2014

Abschlussbericht



Ein Lebensabschnitt neigt sich dem Ende zu…

Ein Jahr Freiwilligendienst in Costa Rica


Liebe Familie, Freude, Bekannte, Unterstützer, ICJA-Angestellte und Interessierte,

es ist der 31.Juli 2014; ein paar Stunden noch und es wird August sein. Der Monat, dem ich seit langem mit gemischten Gefühlen gegenüber stehe. Einerseits zeigt  sich Vorfreude; Vorfreude auf ein Wiedersehen, auf altbekanntes Terrain, Mama’s Essen, saubere Straßen und ein bisschen auch auf das deutsche Organisationstalent. Aber welche Gefühle mich eher mehr einnehmen sind Angst, Ungewissheit vor der neuen, kommenden Zeit und eine tiefe Traurigkeit, die darauf beruht, mir so wichtig Gewordenes zurücklassen zu müssen.

Fast nun schon ein Jahr spielt sich mein Leben in einem vielen von euch fremden Zipfel der Welt ab: in dem kleinen Land Costa Rica, von den Einheimischen liebevoll die „Schweiz Mittelamerikas“ genannt. Über die Organisation ICJA und  gefördert vom BMZ (Bundesministerium für wirtschaftl. Zusammenarbeit und Entwicklung) durch  das Programm ‚weltwärts’, wurde es mir möglich, einen Freiwilligendienst in einer Schule für Kinder/Jugendliche (0-21Jahre) mit besonderen Bedürfnissen zu absolvieren: Eine einzigartige Erfahrung!
Hätte man mich vor einem Jahr nach meinem Wunschprojekt gefragt, wäre ein Projekt mit Menschen mit Behinderung für mich nicht erstrangig gewesen. Das aus einem einfachen Grund: Zuvor hatte ich noch nie mit diesen besonderen Menschen zusammenarbeiten dürfen und hatte somit einen großen Respekt davor. Ich wusste nicht, wie die richtige Art und Weise war, diese Menschen zu behandeln, deshalb bevorzugte ich ein Projekt mit Heim- oder Straßenkindern. Trotz allem fand ich mich in genau einem solchen Projekt wieder und ich stelle fest: es ist das Beste, was mir je passiert ist!
Ich bin so unglaublich dankbar und schätze es sehr, so den Zugang zu Menschen mit besonderen Bedürfnissen gefunden zu haben! Ich habe das Wissen und auch das Vertrauen vermittelt bekommen, eigenständig mit den Kindern/ Jugendlichen zu arbeiten und weiß jetzt auch, dass es ganz egal ist, wenn man mit diesen Menschen zusammenarbeiten möchte, ob man weiß, wie man einem Kind eine Sonde gibt oder was man für besondere Bedürfnisse beachten muss. All das lernt man im Umgang mit Ihnen. Das wichtigste ist es einfach, offen und lernbereit zu sein und alle respekt- und würdevoll zu behandeln!! Besonders diese wundervollen Menschen haben oft ein sehr ausgeprägtes Gespür, dass sie wahrnehmen lässt, wer sie mit Herzen behandelt oder sich um sie bemüht. So kann man seinen Zugang zu diesen einzigartigen Menschen finden und besondere Beziehungen zu Ihnen aufbauen!



Die Arbeit in meinem Projekt hat mir aber nicht nur das Wissen über verschiedene Arbeitsmethoden, die Alltagsbewältigung oder verschiedene Ausprägungen von Behinderung gelehrt. Es hat mich zum Einen auch sehr viel empfindlicher für viele Ausdrücke gemacht. So z.B. nicht von behinderten Menschen zu sprechen, sondern von Menschen mit Behinderung oder noch besser: Menschen mit besonderen Bedürfnissen.

So ist jeder Mensch ist einzigartig, er unterscheidet sich von seinen Mitmenschen durch die spezielle Zusammensetzung aus seinen Vorlieben, seinem Charakter, den Ansichtsweisen, seinen Talenten etc. Was aber auch auch jeden Menschen ausmacht, sind seine Schwächen. Den einen fällt es vielleicht schwer, sich auszudrücken, andere empfinden eine bedrückende Angst, wenn sie sich in wenig Platz aufhalten oder Skorpione sehen. Andere dagegen haben emotionale Probleme oder tun sich schwer zu laufen und zu sprechen. Dennoch sind sie Menschen wie du und ich, mit ihren Vorlieben und Abneigungen, ihrem Talent, ihren Stärken, die eventuell aufgrund ihrer Schächen etwas mehr Unterstützung und Betreuung benötigen, aber dennoch als ganze Person gesehen werden möchten.



Gleichzeitig hat es mich auch zum Nachdenken gebracht über die vielen einzigartigen, besonderen Unterschiede eines jeden Menschen. Ich empfinde eine große Dankbarkeit und Wertschätzung für diese Vielfältigkeit, die uns tagtäglich Neues von unseren Mitmenschen lernen lässt, aber auch grundsätzlich für das Sein und für die etlichen Möglichkeiten, das Leben zu gestalten. Dankbarkeit aber auch für all die Erfahrungen, die mir gelehrt haben, dass nichts unmöglich ist, kämpft man mit Herzen, hat Geduld und gibt Unterstützung: So habe ich von Personen erfahren, die ohne  Arme und Beine geboren werden, aber selbst Schwimmen und Kochen können; im Rollstuhl sitzen, aber einen Marathon mitlaufen,..
Manchmal muss man sich vielleicht nur von gewohnten Vorstellungen trennen und die Ansicht-/ Angehensweisen anpassen; so lief der Junge, der den Marathon lief z.B. nicht alleine, sondern zusammen mit seinem Papa, der ihn in überall in Spezialstühlen mitnahm.



"Anders zu sein ist kein Problem; das Problem ist, anders behandelt zu werden. – Stop der Diskrimination“


In dem Projekt hatte ich auch die Möglichkeit viele Bereiche kennenzulernen. So arbeiten wir Freiwillige mit unterschiedlichen Gruppen zusammen; Kindern mit der Diagnostik von mentaler Spätentwicklung, multipler Behinderung oder mit emotionalen Problemen. Dabei ist die Hauptaufgabe die Assistenz der Lehrer, d.h. Unterstützung im alltäglichen Circulum, in der Pflege, Versorgung, bei handwerklichen Arbeiten, Schulausflügen, Hausbesuchen, Festen etc.

Neben der Unterstützung der Klassenlehrer arbeiten die Freiwilligen viel mit der Sportlehrerin beim Schwimm-, Tanz- oder Gymnastikunterricht oder mit den Musik- und Kunstlehrern zusammen und haben die Möglichkeit, die Kinder zu einzelnen Therapien zu begleiten (Physio-, Ergo-, Sprach-, Pferdetherapie). Dies war für mich persönlich immer eines der spannensten Aufgaben. Aufgrund vielfältiger organisatoischer Gründe konnte die Pferdetherapie zwar nur zu einem kurzen Zeitpunkt angeboten werden, trotzdessen war es eine sehr schöne, interessante Erfahrung.
Neben der Schule befindet sich ein Rehabilitationszentrum mit integriertem Heim für erwachsene Personen mit Behinderung. Es tat sich dort auch die Chance auf, einmal wöchentlich bei einer Aikidostunde (Kampfsport) zu assistieren und gelegentlich ebenfalls bei der Ergo- und Physiotherapie zuzuschauen. Das war eine weitere Chance noch mehr besondere Menschen kennenzulernen und meinen Horizont im Bereich der Therapien zu erweitern.



Zu meinen Arbeitskollegen hatte ich insgesamt ein sehr gutes Verhältnis; da ich mit sehr vielen unterschiedlichen Gruppen  eingeteilt war, arbeitete ich auch fast mit dem gesamten Kollegium zusammen. Die Lehrer waren stets sehr dankbar über die Hilfe und meist auch interessiert an meinem Wohlbefinden. Eine Person des Vertrauens hatte ich mehr oder weniger. Mein Chef, der als für die Freiwilligen verantantwortliche Person galt, war meist sehr beschäftigt und weniger interessiert an der Arbeit, die wir ausführten. Dennoch war zu merken, dass er unsere Unterstützung schätzte und bei Problemen oder Anmerkungen auch offen war für ein kurzes Gespräch.


Wie oben schon erläutert war es zuvor nicht meine Intention mit Menschen mit Behinderung zusammen zuarbeiten. Auch aus dem Grund, weil ich möglichst viele Projekte selbst starten wollte, sei es Basteln, Motivationsspiele spielen, Kochen, etc. und ich mir in diesem Sinne unsicher war, wie ich die Kinder/ Jugendlichen dementsprechend dabei behandeln musste.
Meine Idee von den Projekten, hatte ich leider nur wenig umsetzen können in diesem Jahr. Grund war, dass ich jeweils nur wenig Zeit mit jeder einzelnen Gruppe verbrachte, aber auch, da die Lehrer meist schon ihre eigenen Projekte geplant hatten bzw. da auch beim normalen Schulalltag, Essen, den Therapien etc. auch nur wenig Zeit blieb.
Auch, wenn ich mich nur wenig durch große eigene Projekte einbringen konnte, glaube ich dennoch, dass ich als Freiwillige eine sehr entlastende Stütze war. Merkbar schon, wenn ich einer Lehrerin half, die innerhalb einer halben Stunde fünf Kindern Mittagessen geben musste.
Vielleicht habe ich nicht Unmengen bewirkt oder Systeme verändert, aber ich werde auch immer die vielen Kinderlachen in Erinnerung behalten, die mir aus den strahlenden Gesichtern entgegenhallen, die Bitten der Kinder, mit ihnen zu spielen oder die tränenfeuchten Augen eines Mädchens im Rollstuhl, wenn ich ihr vorsang.
Schon bei meiner Bewerbung für den Freiwilligendienst hatte ich einen bekannten Spruch erwähnt, der auf der Berliner Mauer gestanden hatte und für mich ein Leitsatz ist:

Wenn viele kleine Leute viele kleine Dinge tun, können sie das Gesicht der Welt verändern.

So habe ich vielleicht keine Bäume ausgerissen während meinem Freiwilligendienst, aber vielen Kindern/ Jugendlichen Zeit schenken können, mich mit Ihnen zu beschäftigen und ihnen meine Liebe zu geben.



Neben der Arbeit hatte ich hier in Costa Rica natürlich ein komplett neues Leben aufzubauen. Ich wurde in einer Gastfamilie untergebracht und kann mich wahnsinnig glücklich schätzen mit der Familie. Wir sind ein Frauenhaushalt, der aus meiner Gastmama, zwei Gastschwestern und das letzte Jahr zusätzlich aus mir und einer anderen Freiwilligen besteht. Die Familie hat uns schon am Flughafen begeistert und sehr offenherzig empfangen und auch das gesamte Jahr über stets respektvoll behandelt und war interresiert an unserem Wolbefinden.. Auch die gesamte Verwandschaft, die wir regelmäßig besucht haben, hat uns liebevoll und mit großem Herzen aufgenommen und ich bin dankbar und glücklich so ein zweites Zuhause auf der anderen Seite der Welt gefunden zu haben; eine zweite Familie, die mich stets unterstützt und mich mit offenen Türen empfängt.



In meiner freien Zeit war ich so also mit meiner Gastfamilie unterwegs oder probierte mich in neuen Sportarten etc. So fuhr ich regelmäßig mit dem Mountainbike in die Berge, praktizierte Joga, Aikido oder Juguitzu oder traf mich mit Freunden, Nachbarn etc.
Ich hatte auch die Möglichkeit viele beeindruckende Orte Costa  Ricas zu besuchen, einem Land, das eine einzigartige Natur aufweist, und so auch durchaus Menschen aus sehr armen und einfachen Verhältnissen zu treffen.

Wie schon oben angedeutet wurde ich von meiner Gastfamilie stets unterstützt, aber auch die Gastorganisation stand uns immer bei Bedarf zur Seite. Da ich sowohl mit der Familie, als auch mit dem Projekt sehr zufrieden war, musste ich meine Ansprechpartner nun selten um Rat oder Hilfe fragen, aber es wurde stets betont, dass wir uns melden können, wenn nötig.



Das Jahr im Gesamten war eine sehr intensive, tiefgreifende Zeit mit vielen Höhen und Tiefen, Bereuen und Stolz, Angst und Zuversicht, einer wertvollen Selbsterfahrung und unzähligen beeindruckenden Momenten.
DANKE Costa Rica, für alles, was du mir gelehrt hast, die wundervollen Menschen, die du mir vorgestellt hast und das Zuhause, das du mir geschenkt hast!
Ich werde jetzt zwar am 19.8. nach Deutscland zurückkehren, aber all das wird für immer in meinem Herzen bleiben!



Hannah Seibold


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